Samstag, 24. Juli 2010

Es regnet und wieder nichts getan.

Ich fahre den alten Audi A4 meines Bruders durch die verregnete Freitagnacht. Man könnte meinen, dass es im Grunde nichts zur Sache tut, um welches Fahrzeugmodell es sich handelt, aber das tut es sehr wohl, denn der A4 ist um ein Vielfaches schwerer als mein kleiner, hässlicher Mazda, so dass sich das Fahren nicht nur aufgrund der Witterungsverhältnisse schwieriger gestaltet als unter normalen Umständen. Ich habe Erik gerade bei Freunden abgeliefert, und fahre durch eines dieser ostdeutschen Dörfer, in denen man von Haus zu Haus gehen will, um den Menschen mitzuteilen, dass der Krieg zu Ende ist. Ich bin hunderte Male mit dem Bus durch diesen Ort gefahren, und zwar, als ich noch Buskind war, und nach Eisenberg aufs Gymnasium ging. Es legt sich mir wieder eine gewisse Schwere in die Nähe des Herzens, die ich versuche abzuschütteln, als ich fast einen - man kann es nicht richtig erkennen - Dachs, Fuchs oder Waschbären (heutzutage muss man auf diesen Landstraßen wirklich mit jedem seltsamen Vieh rechnen, wundert mich, dass man noch keine Wölfe in Thüringen gesichtet hat, aber wahrscheinlich sind die alle in Brandenburg) überfahre, und an die Zeichentrickserie "Als die Tiere den Wald verließen" denken muss, was mich kurz zum Lachen bringt. Wobei es sich natürlich um eine nicht ganz tragikfreie Sendung handelte, ich erinnere mich mit Schrecken an die Folge, in der das sympathische Igelpärchen überfahren wird.

Noch 2km bis zu dem Platz, den ich einst "zu Hause" nannte, wobei ich das manchmal immer noch tue. Vielleicht ist dieses Coupland-Lesen auf Dauer nicht förderlich für meine geistige Gesundheit und Ausgeglichenheit, ich frage mich nämlich, welchen Unterschied es eigentlich machen würde, wenn man nicht ständig über "das Leben" und den Sinn desselben nachdenken würde. Wahrscheinlich gar keinen. Am Ende wird jedenfalls gestorben, und wenn das in der Nähe geschieht, haut es einen dann doch regelmässig um.

In diesem Sinne:

"Time ticks by; we grow older. Before we know it, too much time has passed and we've missed the chance to have had other people hurt us. To a younger me this sounded like luck; to an older me this sounds like a quiet tragedy."

- Douglas Coupland, Life After God

Donnerstag, 15. Juli 2010

Down in Albion.

Manchmal kommt man in eine Stadt, in der man ein Stück von sich selbst wiederfindet. Schon vor der eigentlichen Ankunft weiß man, dass man diesen Ort mögen wird: Ein Tagesausflug nach Brighton.
Mein zweites (besseres) Ich M. und ich besteigen am Dienstagvormittag in Victoria Station den Zug in Richtung Süden. Nach nur einer Stunde Fahrt, die mit lautem Geschnatter beginnt, welches dann durch das Geruckel der Waggons in dösiges Tagträumen umkippt, kommen wir in Brighton an. M. sagt mit unglaublicher Präzesion das Wetter voraus - die ursprüngliche Idee, Meterologie zu studieren, war vielleicht doch nicht ganz so unsinnig, immerhin scheint Sie über ein natürliches Talent zu verfügen, oder sie besitzt sogar die Gabe der Vorhersehung. Brighton ist ein liebliches Städtchen, in dem man wohl soetwas wie Vergangenheit atmet, im Vergleich zu London geschieht zumindest alles in Zeitlupe. Der Glanz längst vergangener, besserer Tage scheint irgendwie abzublättern, und heute prügeln sich wohl auch eher selten Mods mit Rockern in den Straßen. Gegenüber des Brighton Pier kann man für nur 30 Pfund im Hotel Albion übernachten, ich halte nach Pete Doherty Ausschau, kann ihn aber nirgends sehen - auch nicht auf einem der Karusells aus dem vorletzten Jahrhundert oder im Pub des Albion, wo ich ihn noch am ehesten vermutet hätte. Nach einem kurzen Schauer, den wir mit Fish & Chips überbrücken, wird der Nachmittag am Strand sonnig und cider. Wir blicken aufs Meer mit dem abgebrannten, alten Pier, welches ein Gefühl der Wehmut ob der Macht aller Vergänglichkeit in uns auslöst, hinaus. Seufzen. Über uns kreischen die Möwen, wenige Meter entfernt braust die Nordsee, in die sich unverzagte Briten ohne jede Scheu hineinwagen, während ich froh über meine Kapuzenjacke und die geschlossenen Schuhe bin. Glück. Ein Steinstrand hat eine Menge Vorteile, besonders, wenn man leere Plastikbecher zur Verfügung hat. Lachen. Die Zeit vergeht wie im Flug, und irgendwann müssen wir dann doch aufbrechen und in die Gegenwart zurückreisen.
Ein Tag am Meer mit einer Seelenverwandten. Es kann so einfach sein.

Freitag, 9. Juli 2010

Sometimes the sky's too bright.

Es ist also Mittwoch, genau genommen Donnerstag, denn schließlich ist es 1 Uhr nachts. Ich bleibe trotzdem bei Mittwoch – der Tag ist nämlich immer erst dann zu Ende, wenn man sich schlafen legt (genauso wie das erste Essen, das man zu sich nimmt, immer "Frühstück" heißt.) Aus diesem Grund gibt es ja auch Tage, die 36 Stunden lang sind, und andere, die es nur auf wenige Stunden bringen. Damit wäre bewiesen: Zeit ist relativ. Hätte man alles einfacher haben können, würde eventuell jetzt aber auch zu weit führen, hier noch intensiver ins Detail zu gehen. Mittwochnacht also, und man sitzt bei lauen Temperaturen auf einem sehr großen Klettergerüst in Mitte und feiert Geburtstag. Zuvor hat man, auch aber nicht ausschließlich bedingt durch frustrierende (Fußball-)Umstände, unvorsichtigerweise durcheinandergetrunken und im Anschluss wird man sich im Jahn-Sportpark mit dem Rad verfahren, nur um noch später (vielleicht auch schon währenddessen) gleichzeitig die bezauberndste als auch verabscheuungswürdigste Version seiner selbst zu sein. Gut und Böse liegen gar nicht so weit auseinander.

Als ich noch (sehr viel) jünger war, dachte ich immer, Zucker sei das Gegenteil von Salz. Dann sah ich meine Mutter einen Salat mit Zucker UND Salz würzen, und musste die vorherige Annahme revidieren – so absurd mir das erschien, in der Küche täuscht sich die Mutti selten. Etwas später, und über einen langen Zeitraum hinweg, ging ich fest davon aus, Liebe sei das Gegenteil von Hass. Irgendwann wurde mir dann aber bewusst, dass das Gegenteil von Liebe Gleichgültigkeit sein muss, denn wo noch Gefühle sind, und seien es nur Negative, da gibt es einen winzigen Schimmer Hoffnung, aber wenn nichts mehr da ist, kann man eigentlich auch das Licht ausmachen.

Apropos "das Licht ausmachen" (und so wird doch wieder ein Schuh draus, es ist ganz und gar unfassbar, wie gut ich das kann…): Aus aktuellem Anlass beschäftige ich mich derzeit ein wenig mit Autoren, die einen (übermäßigen?) Hang zum Alkohol hatten. Vor Monaten sah ich dazu auch eine hochinteressante Reportage auf 3Sat. Nichts gegen Faulkner, Bukowski, Kerouac, Capote und wie sie alle heißen, ich glaube, am meisten mag ich Dylan Thomas (sehr beeindruckend auch S., dass Du sofort Bescheid wusstest, wo ich nur vage Angaben, wie "er trank viel und war Waliser" machen konnte), diese ganz gezielte Selbstzerstörung ist einfach faszinierend! Jedenfalls, und bevor ich jetzt gleich in den Urlaub entschwinde, noch Folgendes:

SOMETIMES THE SKY'S TOO BRIGHT

Sometimes the sky's too bright,
Or has too many clouds or birds,
And far away's too sharp a sun
To nourish thinking of him.
Why is my hand too blunt
To cut in front of me
My horrid images for me,
Of over-fruitful smiles,
The weightless touching of the lip
I wish to know
I cannot lift, but can,
The creature with the angel's face
Who tells me hurt,
And sees my body go
Down into misery?
No stopping. Put the smile
Where tears have come to dry.
The angel's hurt is left;
His telling burns.

Sometimes a woman's heart has salt,
Or too much blood;
I tear her breast,
And see the blood is mine,
Flowing from her, but mine,
And then I think
Perhaps the sky's too bright;
And watch my hand,
But do not follow it,
And feel the pain it gives,
But do not ache.