Donnerstag, 30. Dezember 2010

Kindheitserinnerungswälder.

Wenn man an einen Ort kommt, wo der Schlafanzug auf der Heizung liegend auf einen wartet, kann man fast davon ausgehen, dass man zu Hause ist. Unter Umständen ist dann auch Weihnachten. Ich liebe die Formulierung "zwischen den Jahren", und finde, dass eben jene Woche gleichzeitig die längste und die kürzeste des Jahres ist. Sie ist die längste, weil man an den paar Tagen oft viele unterschiedliche, fast schon gegensätzliche Dinge unternimmt, einen Haufen Leute trifft, die nichts miteinander zu tun haben, Vergangenes Revue passieren lässt, Zukünftigem mit Freude oder Schrecken (je nach Naturell und Lebensumständen) entgegenblickt und vielleicht doch kurz auch mal die Zeit hat, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen. Sie ist die kürzeste, weil all das an einem vorüberfliegt und man sich schon kurz darauf nicht mehr vorstellen kann, woher die guten Vorsätze eigentlich kamen.

2010 (und nun fazitiere ich doch) war ein gefühlt sehr kurzes, aber keineswegs ein schlechtes Jahr. Als ich gestern nach Berlin zurückfuhr, bemerkte ich ab Bornholmer Straße, dass ich ein wenig zitterte, was ich zunächst auf die Aufregung hervorgerufen von waagerecht abgeschossenen Raketen von Weddinger Balkonen schob. Es wurde aber auch auf dem Prenzlauer Berg zunächst nicht besser, und tatsächlich hatte ich mich erst wieder unter Kontrolle, als ich mühsam zwischen Schneebergen eingeparkt und meine Habseligkeiten in die Wohnung geschleppt hatte. Kurz vor Jahresende fühle ich mich innerlich gern etwas instabil, dieses seltsame schwarze Loch, angesiedelt zwischen Herz und Magen dreht sich dann schneller als sonst. Was hätte anders laufen können, was anders laufen müssen? Oder war doch alles richtig, so wie es war? Und welchen Sinn macht es überhaupt zu grübeln, wenn man das Vergangene eh nicht mehr ändern kann? Um zu sagen, ab jetzt wird alles besser, bin ich zu realistisch – oder zu faul. An dieser geschriebenen Inkohärenz könnte ich aber arbeiten – denn wieso fängt ein Absatz mit "2010 war keineswegs ein schlechtes Jahr" an, und hört mit tristen Gedanken auf? Eben! Ab nächstem Jahr werde ich erwachsen! …vielleicht.

Mittwoch, 22. Dezember 2010

A imaginação, o nosso último santuário.

Viele sehr aufschlussreiche Gespräche beginnen mit dem Satz "Ich habe mir mal ein paar Gedanken gemacht.". Ganz anders verhält es sich mit "Wir müssen reden.", letzterer wird nicht selten zu einem schwerwiegenden Meilenstein im großen, bösen Übel. Weil bald Weihnachten ist, sprechen wir heute über ersteren – atmen Sie also ruhig auf, wir bleiben noch ein Weilchen zusammen. Lediglich... habe ich mir ein paar Gedanken gemacht. Neuerdings verbringt man ja ab und an etwas mehr Zeit auf dem Weg zur Arbeit. Am Montag fuhr ich spontan mal einen Umweg, der mich am Ende auf Wegen voll jungfräulichen Schnees die Spree entlang zur Arbeit führte (fragen Sie nicht!). Hatte es bis vor wenigen Minuten noch ausdauernd geschneit, brach plötzlich die Sonne durch die Wolken und tauchte die gesamte Szenerie in ein seltsam diffuses, irgendwie zeitloses Licht und ein Jauchzen (Jauchzet frohlocket – wer hat´s erkannt?) brach aus mir heraus. Ich fühlte mich einen Moment lang ganz wie ein Kind, das seinen ersten Ferientag erlebt: Ferien, Weihnachten und noch dazu alles schneebdeckt, was konnte mein junges Herz in diesem Moment mehr verlangen? Vergessen der Emokater, die kalten Füße, die Enge in der S-Bahn, verdrängt die zähen Stunden im Büro, die vor mir lagen und die Leere auf dem Konto. Alles was zählt: Ich, an diesem Morgen, und für einen Augenblick keine Spur von Luxusproblemen und unsinnigen Bedenken zu abwegigen Themen. Ich bin natürlich kein Kind mehr und habe bereits das eine oder andere schwerwiegende "Wir müssen reden"-Gespräch führen müssen, was mich teilweise ja auch zu dem macht, was ich bin, und unter anderem Eigenschaften hervorbringt, die ich mit der Zeit sogar ein wenig liebgewonnen habe. Doch nun, wo der Nachtzug nach Lissabon fast schon seine Endstation erreicht hat, bleibt einfach festzuhalten, dass unsere Vorstellungskraft immer auch ein Zufluchtsort sein kann. Wenn man nur will.

Frohe Weihnachten, Ihr Prinzen von Maine, Ihr Königinnen von Neuengland.

Freitag, 17. Dezember 2010

KW 50.

Es schneit also. Seit Tagen schon, und alles wird in eine seltsame Ruhe getaucht. Der Schnee schluckt viele Geräusche. Zum Ausgleich gibt es aber auch neue, unbekannte Geräusche, und zwar in meinem Schlafzimmer. Nicht was Sie jetzt denken, mitnichten! Erst letzte Nacht konnte ich aufgrund eines seltsamen Zischelns nicht gleich einschlafen, was sehr ungewöhnlich für mich ist. Ich stand auf, öffnete das Schlafzimmerfenster… und schloß es sofort wieder. Draußen fielen nur lautlos die Flocken zu Boden (ein Anblick, von dem ich übrigens nie genug bekomme). Ich verweilte einen Moment, seufzte, achtete auf meine Atmung, die ich glücklichweise als Ursache des Lautes ausschließen konnte, ging ins Badezimmer, anschließend ins Wohnzimmer und wieder zurück ins Schlafzimmer. Das Zischeln war immer noch da. Neben meiner Rechts-Links-Schwäche habe ich noch ein anderes kleines Problem, und zwar ist es mir unmöglich zu sagen, aus welcher Richtung Geräusche kommen (das sind dann aber auch schon alle meine Fehler). Auf der Schwelle zum Schlafzimmer überlegte ich, ob es sich eventuell um eine Schlange handeln könnte, die vor der Witterung in mein Schlafzimmer geflohen war und nun in meinem Schrank lebte – wer würde es ihr verübeln können? Nun ja, ich! Mit einem gewagten Sprung hechtete ich mich wieder aufs Bett, zog mir die Decke bis zu den Augen und lugte angestrengt ins Dunkel. Das Zischeln war zu gleichmäßig, um von einem Tier zu kommen, und eigentlich war es auch mehr ein Gurgeln. Ich entschloss mich, Licht zu machen. Erstaunlicherweise kann man die meisten Geräusche nicht sehen, aber bei Licht sollte man wenigstens vor nachtaktiven Räubern sicher sein. Ich ging die Wände meines Schlafzimmers ab, und siehe da: 2 Heizungsrohre, die mir nie zuvor aufgefallen waren, führen an der Wand entlang hinunter zu meinen Alkoholikernachbarn, und in eben jenen Rohren zischte es fröhlich vor sich hin. Ich konnte beruhigt zurück zu Bett gehen und schlief dann auch gleich ein.

Ich weiß, diese Zeilen werfen Fragen auf, wie zum Beispiel: Passiert denn gar nichts Interessantes mehr in ihrem Leben? Ganz und gar nicht! Aber Vieles ist so erschütternd, dass ich es noch nicht in Worte fassen kann. Oder: Trinkt sie? Schwer zu sagen, aber wer noch keine Schlangen unterm Bett vermutet hat, dem fehlt es einfach an Fantasie! Es ist ernst Freunde, ernst! Das Jahr ist fast zu Ende!

Mittwoch, 8. Dezember 2010

Saudade.

Wahrscheinlich bin ich tatsächlich ziemlich einfach gestrickt: Seitdem ich "Nachtzug nach Lissabon" lese, träume ich von Portugal – und ich meine auch richtige Träume, nicht nur Wachträume. Ich war vor ein paar Jahren eine Woche im September in Lissabon, und natürlich mochte ich die Stadt, jeder mag sie, es ist unmöglich, sie nicht zauberhaft zu finden. Meine Träume könnten einem Reisekatalog entsprungen sein, und vielleicht sind sie das auch, schließlich sitze ich in ihnen in einer der uralten Trams, die sich durch enge Straßen des Bairro Alto winden, laufe den Berg zum Castelo de São Jorge hinauf und bleibe vor Häusern mit gekachelten Außenfassaden stehen, lasse den Blick über den Tejo schweifen, indem ich meine Augen gegen die Sonne abschirme, gehe auf einen galão in die A Brasileria und mache anschließend ein Foto von der Statue Fernando Pessoas, ohne jemals etwas von ihm gelesen zu haben und abends trinke ich dann Caipirinhas zu 2,50€. Das Wetter ist immer schön, das Licht immer spektakulär und mein linkes Knie tut auch nicht weh. Das ist ein ganz generelles Problem, das ich mit mir herumtrage, also nicht nur das Shearer-Knie (das aber auch!), sondern mein Innenleben: Vieles, was mir wichtig erscheint, besonders auch in der Reflektion über mich selbst, ist, wenn es erstmal ausgesprochen wurde, doch nur ein unvollständiger, unausgegorener Abklatsch von etwas Gelesenem oder Gehörten. Die gefühlte Bedeutungsschwere löst sich in Luft auf, und zurück bleibt der fade Geschmack der Belanglosigkeit. Vielleicht ist das aber auch ein Glücksfall, denn nichtsdestotrotz träume ich von Portugal und versuche eine gewisse Selbstgefälligkeit der Seele abzulegen, weil ich denke (heute zumindest, morgen kann das schon wieder ganz anders aussehen): Unser Tun, unsere Freuden, unsere Sorgen und unsere Nöte sind aus kosmischer Sicht wahrscheinlich belanglos, deswegen braucht man sie auch nicht so schwer zu nehmen. Nicht so schwer, aber dennoch wichtig, denn wenn man andererseits davon ausgeht, dass man nur ein (endliches) Leben hat, dann ist es nur logisch, die Suche nach dem eigenen Glück vorn an zu stellen. Also wie nun? Das ist wie mit diesem Graben, der Innen- und Außenleben trennt. Manchmal ist er schmal und man kann die andere Seite klar erkennen, als stünde sie im Flutlicht, und manchmal ist er so breit, wie der Tejo kurz bevor er in den Atlantik mündet und noch dazu in Dunst getaucht.

Donnerstag, 2. Dezember 2010

Fazit?

Wir starten in die letzten Wochen des Jahres. Ich bin etwas spät dran, auweia! Was soll man auch machen? Aufgrund der aktuellen Witterungsbedingungen kann es zu erheblichen Verspätungen kommen, wir bitten um Ihr Verständnis. Dezember. Dieser düstere Monat, der nur durch all das künstliche Licht halbwegs erträglich gemacht wird (wobei "erträglich" in Anbetracht der um sich greifenden Geschmacklosigkeit bei der Wahl der Leuchtdekoration auch gesondert betrachtet werden kann und muss). Es gibt Tage, an denen wird es gar nicht mehr hell, kein Wunder also, dass man langsam wahnsinnig wird (wenn man nicht vorher erfroren ist). Mir ist aufgefallen, dass ich in diesem Jahr fast gar nicht fazitiert habe. Schade eigentlich, aber irgendwie auch normal, vielleicht sogar ein Zeichen einer gewissen inneren Reifung (nicht zu verwechseln mit Desillusionierung, obgleich sehr ähnlich). Oft lohnt es sich einfach nicht, zu fazitieren. Wenn 2010 fast nichts gezeigt hat, dann doch immerhin, dass Vieles nicht wirklich zu einem richtigen Ende kommt, vielmehr frieselt so Manches irgendwann einfach aus oder nimmt erstaunliche Wendungen, und dann steht man ganz schön dumm da, wenn man gestern noch im Brustton der Überzeugung gesagt hat "Das Ding ist durch", um zwei Tage später doch wieder inkonsequent zu handeln. Das Schöne an der dunklen Jahreszeit ist ja, dass man wieder mehr liest, und so bin ich jetzt bei Pascal Merciers "Nachtzug nach Lissabon" angekommen. Und da ist sie wieder, die Frage: Wenn es so ist, dass wir nur einen kleinen Teil von dem leben können, was in uns ist – was geschieht mit dem Rest?