Dienstag, 29. März 2011

Winterschäden II

Manchmal macht das Schicksal Überstunden. Manchmal hat man das Gefühl, dass etwas Besonderes und Großes in der Luft liegt, dass sich etwas Entscheidendes anbahnt, dass die nächsten Stunden das eigene Leben in eine neue und überraschende Richtung lenken werden. In eine bessere Richtung! Man könnte nicht sagen, dass man wirklich weiß, dass etwas passieren wird und schon gar nicht, was genau, aber man spürt, dass da irgendetwas ist, wahrscheinlich in etwa so, wie Hunde spüren, wenn sich ein Erdbeben anbahnt. Nur andersrum. Manchmal liegt man damit aber auch komplett daneben, denn manchmal passiert entgegen anderslautendem Vorgefühl rein gar nichts. Null. Nada. So viel zu unseren Instinkten.

Heute Morgen sitze ich in der Bahn plötzlich zwischen einer Gruppe Jugendlicher, die alle nach Katzenpisse stinkende Energiegetränke zu sich nehmen. Es hebt mich kurz. Das hübscheste Mädchen monologisiert zu irgendeinem Unsinn über einen Abend, an dem sie selbiges Getränk zu sich nahm und noch irgendetwas anderes passierte, der Rest der Bande hängt an ihren Lippen. Es hebt mich noch einmal. Ich stelle die Musik auf meinen Ohren lauter, auf meinem Schoß liegt Infinite Jest und ab jetzt muss ich jeden Satz dreimal lesen, weil die Jugendlichen immer lauter werden. Ich kann mich nicht richtig konzentrieren. Es ist erstaunlich; David Foster Wallace wurde in verschiedensten Rezensionen als der witzigste Autor seiner Generation bezeichnet, als ein sprachliches Genie, als der James Joyce unserer Zeit, als einer, den eine große Zukunft erwartet und der zu allem fähig sei. Und dann erhängt er sich. Natürlich nicht "einfach so", laut seinem Vater litt er seit über 20 Jahren an schwersten Depressionen, aber trotzdem. Mutet es nicht absurd an, dass einer, der so viel komplexen Spaß zu Papier bringen kann, innerlich komplett zerbrochen ist? Zur Veröffentlichung von Infinite Jest auf Deutsch im vergangenen Jahr (das Original ist von 1996) erschien ein Artikel im SPIEGEL und ich erinnere mich daran, dass mich diese ganze tragische Entwicklung im Leben des Autoren zum Weinen brachte.

Ich habe in letzter Zeit das Gefühl, dass ich mich nicht nur vom Exzess langsamer und schlechter erhole, als früher, sondern auch von persönlichen Rückschlägen und emotionalen Pfützen. Wahrscheinlich ist das normal und auch die Seele zeigt langsam Abnutzungserscheinungen. Im Grunde ist das natürlich nur gerecht, denn warum sollten im Alter nur die Sehkraft nachlassen und die Knochen schwächeln, die Seele aber intakt bleiben, besonders, wo man ihr doch eine ganze Menge Müll zumutet. Was ich sagen will? Wir müssen auf uns aufpassen. Gegenseitig eh, aber auch jeder für sich selbst.

Mittwoch, 23. März 2011

Ratlosigkeit

Demnächst werden sich Spiegel- und ZEIT-Online wahrscheinlich zur Seite meiner Bank auf die Sperrliste gesellen. Kaum ist man mal 1 Stunde weg, geht in Jerusalem eine Bombe hoch und Liz Taylor stirbt, nebenher kann Reaktor 3 aufgrund erhöhter Strahlungswerte nicht mehr gekühlt werden und kein Mensch scheint zu wissen, was in Libyen vor sich geht. Wenn ich frage "Kommt es mir nur so vor, oder wird es denn tatsächlich immer schlimmer?" so handelt es sich dabei um eine rhetorische Frage. Zum Glück kam immerhin heraus, dass Knut der Eisbär an einer Krankheit starb und nicht der Zoodirektor oder sonstwer dafür Rechnung zu tragen hat. Wobei es vielleicht für die Verarbeitung und Einordnung einfacher wäre, wenn man direkt jemanden benennen könnte, der Schuld an all diesen Dingen hat. Ich muss gestehen, dass mir langsam die Betroffenheit ausgeht, und natürlich ist es ein Zeichen totaler Oberflächlichkeit, dass ich hier den Nahost-Konflikt, den Tod eines Film- und eines Zoostars, Libyen und Japan in einem Absatz nenne. Das ist mein ganz persönlicher Biedermeier, mit scheinbar übergroßen Konflikten dieses Moments konfrontiert, widme ich mich Themen, die ich wenigstens halbwegs verstehen kann. Vielleicht wende ich mich auch direkt ganz ab und flüchte mich ins Opium fürs Volk: Fußball, Popkultur und Liebe. Nicht dass es da optimal laufen würde, aber immerhin habe ich in diesen 3 konkreten Fällen das Gefühl, dass mehr Information mich nicht noch mutloser, verzweifelter und lebensverneinender macht.

Es gibt heute kein Fazit, nicht mal einen Ansatz. Nur Ratlosigkeit.

Freitag, 18. März 2011

Kalenderwoche 11

Im Rahmen der Veranekdotisierung meines Lebens kam ich neulich auf den Gedanken, in jedem Eintrag als zweiten Satz zu schreiben "…und wir waren schon betrunken, als wir hinkamen." Leider musste ich beim stichprobenartigen Lesen meiner bisherigen Ergüsse feststellen, dass dieser Satz nur in einigen wenigen Fällen tatsächlich einen Sinn ergeben würde. Nun, vielleicht muss ich auch sagen "zum Glück", wobei dann hier unter Umständen weniger Jämmerlichkeit und mehr Anekdoten zu finden wären? Ist das wünschenswert? Wie dem auch sei, heute passt es jedenfalls mal:

Gestern regnete es den ganzen Tag und als wir nach The Go! Team aus dem Lido kamen, überquerten wir über Pfützen hüpfend die Schlesische Straße, um noch einen schnellen Gin Tonic im Cake zu nehmen. Im Grunde war das gar nicht nötig, denn (Achtung!) … wir waren schon ziemlich betrunken, als wir hinkamen. Aber was muss das muss, vor allen Dingen an den Donnerstagen kurz vor dem Weltuntergang. Apropos Weltuntergang: Schon vor den tragischen Geschehnissen der vergangenen Woche habe ich behauptet, dass demnächst die Welt untergeht – ich rechne mit etwa 12 Jahren, die uns bleiben, unter welchen Umständen auch immer. Das ist übrigens meine Erklärung dafür, dass ich nicht in private Altersvorsorge investiere – ich werde dieses Alter nicht erleben, denn vorher geht die Welt unter oder das System als solches bricht zusammen, wobei Letzteres je nach Sichtweise vielleicht ganz wünschenswert wäre, oder anders gesagt: Seitdem ich arbeite, frage ich mich jeden Morgen, warum es keine Revolution gibt. Falls die Welt wider Erwarten nicht untergeht, werde ich in etwa 30 – 40 Jahren ganz schön alt aussehen, es sei denn, vorher geht Plan B auf und ich heirate reich, wonach es derzeit aber eher nicht aussieht. Was bleibt uns? Nun, definitiv die Freundlichkeit fremder Menschen! Als ich gegen Mitternacht meinen Kopf kurz auf die Bar lege und entschließe, keinen weiteren Gin Tonic zu trinken, stellt die mehr als sympathische Barfrau ein großes Glas Leitungswasser lächelnd vor mir ab und sagt, das sei genau das, was ich jetzt brauche. Da war es wieder! Das Glück im Kleinen!

Freitag, 11. März 2011

Des Pudels Kern?

Man sollte viel öfter ausgehen. Ich habe das Gefühl, etwas Großem auf der Spur zu sein. Wir befinden uns eher zufällig im Monarch und schauen zum Fenster raus auf die Skalitzer Straße, etwa alle 5 Minuten fährt die sogenannte U-Bahn in etwa auf Augenhöhe vorbei. Etwa jede Dreiviertelstunde holt man sich einen neuen Gin Tonic, der mit 4,50 zu einem gefühlt ganz fairen Preis ausgegeben wird. Wir sind auf einem Konzert von Sea of Bees gelandet, das sich als eines der bisher schönsten und bewegendsten in diesem Jahr herausstellen wird. Erst neulich merkte ich an, dass ich Großstadtprobleme Provinzproblemen vorziehe, was wohl hauptsächlich damit zusammenhängt, dass man sich hier vortrefflichst ablenken kann. Während die Musik spielt, schaue ich raus auf die Straße: Autos, große und kleine, Taxis, leere und besetzte, Fußgänger, alleine, zu zweit, in Gruppen, die U-Bahn, mittelvoll, ein Mann führt seinen Hund aus, und ich denke, dass vielleicht nicht alle da draußen, aber doch viele, zumindest mehr, als man denkt, ein gebrochenes oder angebrochenes Herz mit sich rumschleppen. Vielleicht sind manche Herzen auch aus Holz, die sind dann gesplittert, oder sie sind aus Eisen, dann sind sie verrostet, und wahrscheinlich handelt es sich meist weniger um einen akuten, als vielmehr um einen chronischen Zustand. Es ist nicht wirklich ein Trost, aber irgendwie auch gut zu wissen, dass man nicht allein ist. Was ich sagen will? Was ich sagen will, fasst Julie Baenziger ganz gut zusammen: "I don´t write happy songs, because I´m not a happy person.". Das ist natürlich auch nur die halbe Wahrheit, aber momentan passt es ganz gut, und wo ich gerade dabei bin, mich von Ewigkeiten zu verabschieden, entscheide ich mich für Halbwahrheiten vor Nichtwahrheiten, für Großstadtprobleme vor Provinzproblemen, für Herzen aus Holz vor Herzen aus Eisen.

Donnerstag, 10. März 2011

If you don't like what's being said, change the conversation.

Ich finde, ich habe einen sehr großen, sehr schweren Kopf. Das war erst kürzlich wieder Anlass für Gelächter, als ich laut darüber nachdachte, statt Mützen lieber direkt Kissenbezüge zu tragen. Unter Umständen werde ich dieses Bild nun nie mehr los. Tatsächlich glaube ich, dass der Kopf aus reiner Notwendigkeit so groß ist. Nicht etwa, weil ich so schlau bin und so viel dort drin Platz finden muss – wobei, ein bisschen schon auch! – sondern vielmehr, weil die Gedanken immer von einer Ecke in die andere wollen und ich so schlecht f o k u s s i e r e n kann. Es handelt sich also unterm Strich mal wieder um ein Disziplinthema. Das wird in seiner Hartnäckigkeit langsam etwas lästig und schon befürchte ich, dass es sich um eines dieser Dinge handelt, die man sich "im Alter" zwangsläufig auflädt und vielleicht nie wieder los wird – etwa so wie Kurzsichtigkeit, Knieprobleme und nachlassende Anpassungsfähigkeit. Vielleicht kann ich mich aber auch nur so schlecht konzentrieren, weil ich immer denke, ich müsse dem Verhalten der Anderen quasi vorgreifen und antworten, ehe ich gefragt worden bin, am besten das, was der Gegenüber hören will? Das ist jedoch absurd und fast schon Roulette. Natürlich gibt es genug Menschen, die man ziemlich schnell durchschaut und bei denen es kein Problem ist, die Themen zu steuern oder direkt wegzuhören, aber die sind uninteressant und können in dieser Betrachtung vernachlässigt werden. Andere sind direkt gleich völlig egal und fallen natürlich auch raus. Wichtig ist der Rest und da dachte ich heute Nachmittag zwischen dem Abwägen der widersprüchlichen Standpunkte in Tolstois Kreutzersonate (ich muss ab und an meine Intellektualität herausstreichen, sonst bleibt das höchstens noch unbemerkt) und der Verzückung bei der Betrachtung des Spreefederviehs (ersetzen Sie "Intellektualität" durch "Naturverbundenheit", et voilà) darüber nach, dass einem eigentlich nur eins bleibt: Den eigenen Text gut draufzuhaben und sich weniger am Gegenüber als an sich selbst zu orientieren. Zugegeben, das ist leichter gesagt, als getan, aber alles andere hat uns ja auch nirgends… ach was sag ich, es hat uns überhaupt erst hier hin hingeführt (was noch viel schlimmer ist!). Jetzt muss ich nur noch das Drehbuch finden, meinen Text lernen, das Unterbewusstsein ausschalten, alte Muster ablegen, einen Plan machen und dann…. werdet Ihr aber staunen!

Dienstag, 8. März 2011

This love will last forever.

Gestern hatte ich mein 2jähriges Berlinjubiläum. In den privaten Stasiunterlagen ist alles 1A dokumentiert. Ich war dennoch ganz erstaunt, denn manchmal habe ich das Gefühl, schon viel länger, also eigentlich sogar schon immer hier zu sein, und dann wieder würde ich zu Fuß nicht aus der Westzone nach Hause finden – ganz abgesehen davon, dass das völlig absurd wäre. Die letzte Woche war schwierig, ich hatte ständig Bauchweh. Gestern sagte man mir dann aber endlich, dass ich durchaus das Recht habe, traurig zu sein. Das war eine große Erleichterung, erstaunlicherweise geht es mir seitdem viel besser. Die Sorge um den Mondstein in Vampire Diaries und exquisites Abendessen in formidabler Gesellschaft halfen, um mal wieder etwas klarer zu sehen und als ich heute Morgen um 5:31 verwirrt aufwachte, befand ich, dass ich bescheuert bin. Grundsätzlich liegt das aber nicht nur an mir und der Werkseinstellung, sondern an so dämlichen Filmen wie "He´s just not that into you" von dem ich post-Vampire die letzten 40 Minuten sah. Gut, kann sein, dass es grundsätzlich 3-4 Aussagen gibt, die hinkommen, aber wäre ich freigekommen (ich hatte mich in der Decke verheddert), hätte ich ob des schmalzigen Endes wahrscheinlich brechen müssen. Wirklich! Man sollte nie, also wirklich NIE die Hoffnung auf sein ganz persönliches Happy End aufgeben – komme was wolle! Hallo?! Ich glaube, es hackt! Für Wunder können wir gern auf Knien nach Lourdes rutschen, tatsächlich ist es doch aber so: Happy End = Ende = der Tod (buh!) = nicht so lustig und auf dem Weg dorthin wird man zwangsläufig auf die Nase fallen. Nichtsdestotrotz (und Achtung, hier werde ich nun den Bogen zu 2 Jahren in der Kapitalen spannen) lieber Großstadt- als Provinzprobleme! So einfach ist das, danke Berlin!

Donnerstag, 3. März 2011

My private life is an inside joke - no one will explain it to me.

Dieses komische Leben… wahrlich ein Drahtseilakt. Bewegt man sich zu schnell, wird man unaufmerksam und fällt runter, bewegt man sich zu langsam, wird man unsicher und fällt auch runter. Damit habe ich das Rad jetzt auch nicht neu erfunden, denn wie man´s macht, macht man´s eben falsch. Gegen den aufkommenden Kater schnell ein oder zwei oder acht Konterbiere zu trinken, wird einen zwangsläufig in den Alkoholismus führen. Das ist so, da gibt es nichts dran zu rütteln – aufhören ist aber auch keine Option. Noch nicht. Sobald ich weiß, worauf ich hinaus will, sage ich Bescheid.

Ach ja, was ich sagen wollte: Geschichte wiederholt sich. Warum eigentlich? Im Großen, weil der Mensch als solcher dumm ist, vergisst und immer wieder die gleichen Fehler macht. Und im Kleinen sind es genau die gleichen Gründe. Ist das nicht erstaunlich, sollte uns DAS nicht zu denken geben. Ich werde langsam zu einem volkswirtschaftlichen Risiko für meinen Arbeitgeber, vielleicht frage ich mal an, ob man hier gegen die Fehler und Unaufmerksamkeiten verwirrter Mitarbeiter versichert ist. Gerechtigkeit ist übrigens lediglich das Recht der Moral und kann deswegen vernachlässigt werden. Ich verstehe das selbst nicht so richtig, finde es aber irgendwie lustig. Peggy Olson sagt: "One day you're there and there's less of you and you wonder where that part went. If it's living somewhere outside of you and you keep thinking maybe you'll get it back and then you realize it's just gone." und ich habe ein wenig Angst. Schnell... ein Konterbier!