Samstag, 29. Dezember 2012

Everything will flow.

2012. Ich habe jetzt 5 mal angefangen, und es bleibt die Frage, ob ich überhaupt resümieren soll und will, wahrscheinlich nämlich eher nicht. Es ist schon so, dass ich das Gefühl habe, immer weniger zu verstehen, je mehr ich weiß, denn dieses Wissen ist doch nur Stückwerk, es ergibt keinen rechten Sinn, je mehr Stücke auftauchen, desto verwirrender wird es doch.

Ich glaube, der große Wurf liegt mir nicht, dann lieber eine lose Detailbetrachtung aus den letzten Tagen des Jahres. Weihnachten. Welch' Grauen vorher, welch' Freude währenddessen und wie viel guter Schlaf, unendlich leckeres Essen und Ruhe. Ruhe! Endlich! Auf dem Zahnfleisch in den Urlaub gekrochen, in jeder Hinsicht. Die Novemberpest, die sich in den Bronchien festgekrallt hatte, das Schlafdefizit, die Ellenbogen, der Unglauben, das ständige Aufstehen gefolgt vom ständigen Umfallen, gefletschte Zähne, kalte Füße, Schulterzucken. Ich weiß nicht, wie das manchmal funktioniert, aber der Küchentisch meiner Eltern hat magische Kräfte. Mein Bruder macht freiwillig den Abwasch und wo andere Leute - keine Ahung, was machen die an Heiligabend? - wir machen jedenfalls nach der sogenannten Bescherung den "Nostalgie-Fragebogen" in Der Freitag und streiten uns kurz zum Thema Israel und Palästina. Dann spielen wir Rommé. In der Folge treffe ich noch mehr Menschen, die ich sehr mag. Es ist alles nicht schlimm, ganz im Gegenteil, was hatte ich eigentlich erwartet? Die Geschwindigkeit ist eine andere als sonst, alles fließt in ruhigen, harmonischen Bahnen dahin, mir fällt wieder ein, dass ich "zwischen den Jahren" liebe. Und dann fahre ich 3kg schwerer zurück nach Berlin und frage mich (jedes Jahr aufs Neue übrigens), wie das für Menschen, die den Krieg noch erlebt haben, eigentlich sein muss, wenn zum Jahresende diese furchtbare Knallerei losgeht. Ich habe nichts erlebt, nur diese bunte, schreckhafte Fantasie und stelle es mir grausam vor. 

Aber dann macht mich insgesamt irgendetwas seltsam vergnügt und zuversichtlich, wenn ich an 2013 denke. Ich kann nicht sagen, was das ist, aber neulich erhielt ich eine Mail (kein Spam) mit der Betreffzeile "Du hast gewonnen". Oh man, ich hatte es fast vergessen! Wie konnte das passieren? Die wilde 2013, ich glaube wirklich, da geht noch was!

Freitag, 14. Dezember 2012

Your ex-lover is (not) dead.



Wir gehen also zum Konzert der kanadischen Band Stars im Heimathafen Neukölln. Eine Band die Stars heißt, hat es bei Google nicht ganz leicht, aber das nur nebenbei. Der Heimathafen Neukölln ist einer meiner liebsten Konzertorte in Berlin – so schön, klein und heimelig. Zudem arbeitet an deren Bar ein ganz entzückender junger Mensch, der immer leicht verwirrt und deplatziert wirkt, als sei er gerade gänzlich aus Versehen dort gelandet, und dessen bloßer Anblick mein kleines, kaltes Herz erwärmt. Ganz besonders, weil er scheinbar jeden (also MICH auf jeden Fall) mit einem Lächeln bedenkt, wenn er das bestellte Getränk übergibt. Aber auch das nur nebenbei. Ich hörte das erste Mal etwas von Stars durch meinen lieben Freund Christian, der seines Zeichens die besten Mix-CDs der Welt macht. Überhaupt gibt es wohl niemanden in meinem Bekanntenkreis, der so viel über Musik und Kino weiß wie er, und darüber hinaus ein solch angenehmer, ruhiger Mensch ist. Irgendwann Anfang der sogenannten Nullerjahre schickte er mir eine Mix-CD, auf der unter anderem "Your ex-lover is dead" von Stars drauf war, was bis heute wahrscheinlich zu meinen 10 Lieblingsliedern gehört (nageln Sie mich aber bitte nicht drauf fest. Zahlen… Sie wissen ja). Stars geben dann also ein wirklich schönes Konzert und natürlich spielen sie "Your ex-lover is dead" und selbstredend finde ich es ganz wunderbar und passend, aber das ist ja immer so, denn schließlich kann man sich doch stets an irgendeinen Ex-Lover erinnern, der wenn schon nicht tot, dann vielleicht doch irgendwie verschwunden ist. Und manchmal tut das weh und manchmal auch nicht. Unterm Strich ist es eben einfach so.

Die Heimfahrt ist dann dank der Kooperation von S-Bahn und Wetter ein wahres Feuerwerk der Unzumutbarkeiten. Wir sind jedoch vom Konzert beseelt, da kann nicht viel passieren und bis heute singe ich leise vor mich hin:

There's one thing I want to say, so I'll be brave
You were what I wanted
I gave what I
gave
I'm not sorry I met you
I'm not sorry it's over
I'm not sorry there's nothing to save     

Freitag, 7. Dezember 2012

Lasst uns froh und munter sein.



Ein Freutag im Dezember – die S-Bahn performt nur mittelmäßig, aber man ist ja schon froh, wenn sie bei diesen Witterungsbedingungen überhaupt fährt, ich meine, kann ja keiner ahnen, dass es im Wi… Aber, ach, es wäre zu leicht! S-Bahn-Bashing ist ja doch ein alter Hut, jedes Jahr das Gleiche, man hat sich dran gewöhnt, zuckt mit den Schultern und sucht eine Alternative, bei der die Erfrierungsgefahr möglichst übersichtlich bleibt. Außerdem hat es geschneit und das löst ja die ersten paar Male jeden Winter aufs Neue bei vielen Menschen etwas sehr Schönes aus, und zwar freuen sie sich ein bisschen wie die kleinen Kinder – wobei, zugegeben, diese Reaktion seit den ewigen, eisigen Wintern 2009, 2010 und 2011 deutlich schüchterner ausfällt. Kinder, Kinder… Dank meiner bezaubernden Nichte, die so wunderbar kluge Fragen wie "Warum bauen Mäuse eigentlich keine Katzenfallen?" stellt und mich mit ihren 5 Jahren im Memory schlägt, darf ich ja ab und an Blicke in diese kuriose, dem Moment huldigende Welt werfen. Kinder wissen, bis zu dem Punkt an dem sie sich ihrer selbst gewahr werden, irgendwie immer genau, wenn etwas für sie gemacht ist. So wie Weihnachten zum Beispiel. Dann geben sie sich dem Augenblick hin, als wäre es ihr erster und gleichzeitig letzter Tag auf der Welt. Falls die Maya recht behalten, wobei das natürlich eine Frage der Interpretation ist, dann ist tatsächlich bald unser aller letzter Tag auf dieser Erde. Wie würden sie den verbringen wollen? Kann man sich mal reindenken, muss man aber natürlich nicht. Ich glaube eh, wir werden auch dieses Jahr wieder ein Weihnachten erleben. Sie wissen schon, dieses Fest, das – wenn man kein Kind mehr ist und hedonistisch im Augenblick lebt – der Melancholie, dieser freundlichen, einlullenden Traurigkeit, die dann doch auch immer ein wenig hoffnungsvoll in die Zukunft blickt, gehört.



Und was sagen wir melancholiefrei zur nahen Zukunft? In 3 ½ Stunden ist Feierabend – schönes Wochenende!

Mittwoch, 21. November 2012

O coração, se pudesse pensar, pararia. – Wenn das Herz denken könnte, stünde es still.



Neulich telefonierte ich mit meinem Freund J., auch um ihm atemlos und hocherfreut mitzuteilen: "Sie werden es nicht glauben, aber ich habe eine neue Sau gefunden, die es durchs Dorf zu treiben gilt!" Ich lese "Das Buch der Unruhe (des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares)" von Fernando Pessoa. Allein der Titel! DAS BUCH DER UNRUHE. Schon weit bevor ich Pessoa zu lesen begann, wusste ich, dass ich ihn lieben würde. Es passt zu allem, was Portugal betrifft – irgendetwas ist da zwischen mir und diesem Land. Zu sagen, es sei ein tieferes, vielleicht sogar schicksalhaftes Verständnis wäre sicher zu hoch gegriffen und nicht treffend, aber aus irgendeinem Grund tut Portugal mir immer gut. Vielleicht liegt es daran, dass es zwar keine Übersetzung des Wortes "saudade" gibt, ich aber trotzdem sicher bin, zu wissen, was es bedeutet. Nun also endlich Pessoa!

Dem Buch der Unruhe gelingt – entgegen seines Namens – das seltene Kunststück, mich ruhig(er) zu machen. Die "Autobiographie ohne Ereignisse" des fiktiven Hilfsbuchhalters Bernardo Soares – eines "Halbheteronyms" Pessoas – ist nicht linear erzählt, es gibt keinen roten Faden, man kann dieses Denk-, Lebens- und Traumtagebuch überall aufschlagen, und ist immer an der richtigen Stelle. Wahrscheinlich gehört es – wortgewaltig, klug, präzise und poetisch erzählt – zu den Büchern, die man ein Leben lang auf dem Nachttisch liegen hat und bei einem Hausbrand neben dem eigenen Tagebuch (insofern man ein solches führt), vor den Flammen retten würde. Derzeit ist es das Buch, dem ich zärtlich über den Einband streiche, wenn ich es beim Ausstieg aus der S-Bahn wieder in meiner Tasche verstaue. Ursprünglich – und was könnte passender sein? – war Das Buch der Unruhe gar kein Buch, sondern eine lose Sammlung von etwa 35.000 Manuskriptseiten mit Notizen, Kurzessays, Aphorismen, und Fragmenten, welche in einer riesigen Überseekiste in der Nationalbibliothek von Lissabon (!) bis 1982 (und damit 47 Jahre nach dem Tod Pessoas) auf ihre Erstveröffentlichung wartete und seitdem mehrere Neuveröffentlichungen und –übersetzungen erfahren hat. Zu unserem Glück, denn "Wir alle, die wir denken und träumen, sind Hilfsbuchhalter… Wir führen Buch und erleiden Verluste; wir zählen zusammen und gehen weiter; wir ziehen Bilanz, und der unsichtbare Saldo spricht immer gegen uns."   

Dienstag, 13. November 2012

Oh Boy.



Wir gehen also ins Kino und schauen uns "Oh Boy" an. Es erstaunt mich ein wenig, wie viele Leute Montags ins Kino gehen, andererseits bin ich aber auch dort. Na gut, was heißt das schon? Der Film gefällt uns jedenfalls sehr. Am Ende wird ein schönes Lied von Get Well Soon gespielt. Wir gehen dann raus und essen in der Danziger Straße je noch eine Currywurst und teilen uns unter Drein einmal Pommes Schranke. Wie jedes Mal wird mir kurz nach dem Currywurstverzehr übel, das könnte ich mir vielleicht mal merken – als gebürtige Thüringerin sollte ich minderwertige Wurstwaren eben einfach meiden. Aber noch ist es nicht so weit. Noch sitzen wir im Fenster des Currywurstladens, schauen nach draußen, stopfen uns mit fettigem Kram voll, werfen uns Gesprächsfetzen zu und seufzen ein wenig. Fast wirkt Berlin wie die gemächliche, langsame Großstadt, als die sie in "Oh Boy" meistens erscheint. Und man ist keine 21 mehr, Tom Schilling als Protagonist (Niko) glücklicherweise auch nicht. Anhand von Selbstversuchen konnte herausgefunden werden, dass die Kater seit einer Weile von Sonntagmorgen bis mindestens Dienstagabend dauern, aber wenn sie es wert sind, geht das ja auch in Ordnung. Irgendwie. "Oh Boy" jedenfalls sei eine Tragikomödie, heißt es, und das kann gut sein, denn: "Kennst du das Gefühl, dass dir die Leute um dich herum merkwürdig erscheinen? Und je länger du darüber nachdenkst, desto klarer wird dir, dass nicht die Leute, sondern du selbst das Problem bist?". Stimmt. Es ist schon komisch – und dabei in seinen beiden Bedeutungen von wegen "seltsam" aber auch "lustig" zu gebrauchen, was ziemlich viel wert ist, wie ich finde. Erstaunlicherweise hat mich der Film jetzt trotz seiner schwarz-weißen Melancholie keineswegs traurig gemacht, vielmehr löste er eine wunderlich-fröhliche Beschwingtheit aus. Es ist ja alles gut im Grunde... oder doch nur wieder LSD im Leitungswasser?    

Dienstag, 6. November 2012

Bereit sein, ist alles.



Natürlich ist es nicht von der Hand zu weisen – der Herbst ist da. Traditionell ist er gekommen, um ein Stück zu bleiben und sich dann in den unsäglichen Winter zu verwandeln. Dafür muss man jetzt nicht hellsehen können. Erfahrungswerte, mir macht der doch nichts vor, knickknack. Und ja, gut schaut er manchmal aus, mit diesen ganzen bunten Blättern, die es bei ein paar Windstößen von den Bäumen schneien lässt, dem ab und an ganz klaren Himmel, den spektakulären Sonnenuntergängen und selbst den Regenwänden am Horizont, aber natürlich kann er mich nicht täuschen, denn im Gepäck hat er das Ableben dieses Jahres – was andererseits vielleicht auch gar nicht so schlimm ist. So gesehen. Die 15Uhr-Nachmittagssonne jedenfalls (wenn sie denn sich blicken lässt) erweckt den Eindruck von Kurzvordämmerung und ein Frösteln kriecht mir regelmäßig den Rücken hoch, wenn kurz darauf die Dunkelheit über uns hereinbricht. In der Hamlet-Inszenierung an der Schaubühne gibt es zum Fechtkampf am Ende des Stückes zwischen Hamlet und Laertes eine Szene, in der Lars Eidinger als Hamlet mit einer Plastikgabel dem degenbewaffneten Laertes gegenübersteht. So fühle ich mich manchmal ob des drohenden Berliner Winters – am Ende (Achtung Spoiler!) gehen bekanntermaßen beide drauf. Vielleicht war das jetzt auch eine schlechte Metapher. Naja, sei’s drum.

Ich war jetzt binnen kürzester Zeit mehrfach indisch essen, manchmal sogar allein, was für mich einiges heißen will. Im Urlaub hatte ich von Thomas Glavinic "Das bin ja ich" gelesen, was ausgesprochen amüsant und kurzweilig war, wobei unterm Strich vor allem hängengeblieben ist, dass er ständig am Wiener Naschmarkt zum Inder essen geht und dass er (zu?) viel trinkt. Mir fehlt jetzt eigentlich nur noch der Bestseller. Und der Naschmarkt. Abgesehen davon nahm ich den wunderbaren Satz: "Ich bin ein friedfertiger Mensch, aber auch ein Knecht meiner Idiosynkrasien." mit. Sieh Dich also vor, Winter!