Neulich telefonierte ich mit meinem Freund J.,
auch um ihm atemlos und hocherfreut mitzuteilen: "Sie werden es nicht glauben,
aber ich habe eine neue Sau gefunden, die es durchs Dorf zu treiben gilt!" Ich
lese "Das Buch der Unruhe (des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares)" von Fernando
Pessoa. Allein der Titel! DAS BUCH DER UNRUHE. Schon weit bevor ich Pessoa zu lesen begann, wusste
ich, dass ich ihn lieben würde. Es passt zu allem, was Portugal betrifft –
irgendetwas ist da zwischen mir und diesem Land. Zu sagen, es sei ein tieferes,
vielleicht sogar schicksalhaftes Verständnis wäre sicher zu hoch gegriffen und
nicht treffend, aber aus irgendeinem Grund tut Portugal mir immer gut.
Vielleicht liegt es daran, dass es zwar keine Übersetzung des Wortes "saudade"
gibt, ich aber trotzdem sicher bin, zu wissen, was es bedeutet. Nun also endlich
Pessoa!
Dem Buch der Unruhe gelingt – entgegen seines
Namens – das seltene Kunststück, mich ruhig(er) zu machen. Die "Autobiographie
ohne Ereignisse" des fiktiven Hilfsbuchhalters Bernardo Soares – eines "Halbheteronyms"
Pessoas – ist nicht linear erzählt, es gibt keinen roten Faden, man kann dieses
Denk-, Lebens- und Traumtagebuch überall aufschlagen, und ist immer an der
richtigen Stelle. Wahrscheinlich gehört es – wortgewaltig, klug, präzise und
poetisch erzählt – zu den Büchern, die man ein Leben lang auf dem Nachttisch liegen
hat und bei einem Hausbrand neben dem eigenen Tagebuch (insofern man ein
solches führt), vor den Flammen retten würde. Derzeit ist es das Buch, dem ich
zärtlich über den Einband streiche, wenn ich es beim Ausstieg aus der S-Bahn wieder
in meiner Tasche verstaue. Ursprünglich – und was könnte passender sein? – war Das
Buch der Unruhe gar kein Buch, sondern eine lose Sammlung von etwa 35.000 Manuskriptseiten
mit Notizen, Kurzessays, Aphorismen, und Fragmenten, welche in einer riesigen
Überseekiste in der Nationalbibliothek von Lissabon (!) bis 1982 (und damit 47
Jahre nach dem Tod Pessoas) auf ihre Erstveröffentlichung wartete und seitdem
mehrere Neuveröffentlichungen und –übersetzungen erfahren hat. Zu unserem
Glück, denn "Wir alle, die wir denken und träumen, sind Hilfsbuchhalter… Wir
führen Buch und erleiden Verluste; wir zählen zusammen und gehen weiter; wir
ziehen Bilanz, und der unsichtbare Saldo spricht immer gegen uns."
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