Mittwoch, 8. Dezember 2010

Saudade.

Wahrscheinlich bin ich tatsächlich ziemlich einfach gestrickt: Seitdem ich "Nachtzug nach Lissabon" lese, träume ich von Portugal – und ich meine auch richtige Träume, nicht nur Wachträume. Ich war vor ein paar Jahren eine Woche im September in Lissabon, und natürlich mochte ich die Stadt, jeder mag sie, es ist unmöglich, sie nicht zauberhaft zu finden. Meine Träume könnten einem Reisekatalog entsprungen sein, und vielleicht sind sie das auch, schließlich sitze ich in ihnen in einer der uralten Trams, die sich durch enge Straßen des Bairro Alto winden, laufe den Berg zum Castelo de São Jorge hinauf und bleibe vor Häusern mit gekachelten Außenfassaden stehen, lasse den Blick über den Tejo schweifen, indem ich meine Augen gegen die Sonne abschirme, gehe auf einen galão in die A Brasileria und mache anschließend ein Foto von der Statue Fernando Pessoas, ohne jemals etwas von ihm gelesen zu haben und abends trinke ich dann Caipirinhas zu 2,50€. Das Wetter ist immer schön, das Licht immer spektakulär und mein linkes Knie tut auch nicht weh. Das ist ein ganz generelles Problem, das ich mit mir herumtrage, also nicht nur das Shearer-Knie (das aber auch!), sondern mein Innenleben: Vieles, was mir wichtig erscheint, besonders auch in der Reflektion über mich selbst, ist, wenn es erstmal ausgesprochen wurde, doch nur ein unvollständiger, unausgegorener Abklatsch von etwas Gelesenem oder Gehörten. Die gefühlte Bedeutungsschwere löst sich in Luft auf, und zurück bleibt der fade Geschmack der Belanglosigkeit. Vielleicht ist das aber auch ein Glücksfall, denn nichtsdestotrotz träume ich von Portugal und versuche eine gewisse Selbstgefälligkeit der Seele abzulegen, weil ich denke (heute zumindest, morgen kann das schon wieder ganz anders aussehen): Unser Tun, unsere Freuden, unsere Sorgen und unsere Nöte sind aus kosmischer Sicht wahrscheinlich belanglos, deswegen braucht man sie auch nicht so schwer zu nehmen. Nicht so schwer, aber dennoch wichtig, denn wenn man andererseits davon ausgeht, dass man nur ein (endliches) Leben hat, dann ist es nur logisch, die Suche nach dem eigenen Glück vorn an zu stellen. Also wie nun? Das ist wie mit diesem Graben, der Innen- und Außenleben trennt. Manchmal ist er schmal und man kann die andere Seite klar erkennen, als stünde sie im Flutlicht, und manchmal ist er so breit, wie der Tejo kurz bevor er in den Atlantik mündet und noch dazu in Dunst getaucht.

5 Kommentare:

Tante Oberursel hat gesagt…

Ich möchte an dieser Stelle unseren Freund Friedrich Schiller zitieren: "Einfachheit ist das Resultat der Reife." Du scheinst erwachsen zu werden. Willkommen in den Dreißigern, liebe Sally!

Sally Cinnamon hat gesagt…

Du weißt, dass Du mich triffst, wenn Du mir mit Schiller kommst... Einfachheit gern, aber bzgl. der Reife setze ich einen Satz aus dem Nachtzug entgegen, den ich erst heute Morgen las undfür gut befand: "Ich habe es stets abgelehnt, reifer zu werden, wie sie es nennen... Ich halte die sogenannte Reife für Opportunismus oder pure Ermüdung."

Die Mutti wird´s nicht freuen, aber... Nicht gereift und somit alles richtig gemacht!

Tante Oberursel hat gesagt…

Ich halte es wohl eher mit dem amerikanischen Schrifsteller Jerome D. Salinger: „Das Kennzeichen des unreifen Menschen ist, dass er nobel für eine Sache sterben will, während der reife Mensch bescheiden für eine Sache lebt.“

Sally Cinnamon hat gesagt…

Zurück in die Heimat! Jean Paul: "Die Menschen und die Gurken taugen nichts, sobald sie reif sind."

Tante Oberursel hat gesagt…

„Eine bittere Gurke? Wirf sie weg! Dornensträucher im Weg? Weiche ihnen aus! Das ist alles. Frage nicht noch: Wozu gibt es solche Dinge in der Welt?“ (Marc Aurel)

Schütze dich vor dem Überbewerten der Nichtigkeiten und beschränke dich auf das Wesentliche: „Ohne Musik wäre das Leben ein Irrtum.“
wusste Friedrich Nitzsche.