Mittwoch, 14. Oktober 2009

We Love Life.

Wenn man auf dem Land aufwächst, wird man in relativ jungen Jahren daran gewöhnt, dass der Tod immer urplötzlich einen Auftritt am Rande des eigenen Lebens haben kann. Ständig wird irgendeine Katze überfahren oder vom Hund gefressen, richtet der Fuchs ein Desaster im Hühnerstall an, verwelkt ein Wegrandblumenstrauß nach dem anderen auf dem Wohnzimmertisch, sieht man kopflose Hühner oder Enten ein paar Meter grotesk durch den Garten watscheln, stellt man die Verbindung zwischen dem Sonntagsbraten und dem Fehlen der Kaninchen im Stall her, und wer eine kommunistische Kindheit in der Provinz erleben durfte, der kam wahrscheinlich auch nicht darum herum, beim jährlichen Schlachten eines Schweines das Blut umzurühren. Wenn man älter wird, muss man dann leider Lernen, dass auch Menschen manchmal sterben, und schließlich wird einem klar, dass man selbst wahrscheinlich auch irgendwann dran sein wird. Ich habe mir aufgrund des Herbsteinbruchs in letzter Zeit ein paar Gedanken zum Thema Sterben und zum Tod gemacht. Das bedeutet jetzt aber nicht, dass man beim psychologischen Notdienst anrufen muss, um mich davor zu bewahren, aus dem 5. Stock des Glasturms, der mein Bürogebäude ist, in die Spree zu springen. Mitnichten und ganz im Gegenteil.

Es gibt ja Menschen, die sagen, sie fürchteten sich nicht vor dem Tod an sich, sondern eigentlich nur vor dem Sterben, dem ganzen Leid, dem langsamen Nicht-mehr-können-wie-man-will, dem Ausgeliefertsein. Ich hingegen habe gleichermaßen Angst vor Tod und Sterben. Natürlich möchte ich als besonders wehleidiges Exemplar der Spezies Mensch gar nicht erst über die Schmerzen nachdenken, die es wohlmöglich zu erleiden gilt, aber mindestens den gleichen Respekt habe ich vor dem Gedanken an die Leere, die eventuell darauf folgt. Nichtsdestotrotz ist die Idee eines unendlichen Lebens eine ganz und gar erschreckende Überlegung – nicht, dass das momentan möglich wäre, aber in Anbetracht des Biologie-Nobelpreises ist das sicherlich auch nicht komplett abwegig. (Ganz abgesehen natürlich vom christlichen Gedanken des Lebens nach dem Tod, aber der ist mir momentan zu abstrakt, um darüber nachdenken zu können, also spare ich den hier mal aus.) Angenommen also, es ginge immer weiter, würde dann nicht alles was wir denken und tun an Bedeutung verlieren? Alles nutzt sich irgendwann ab, und ich ahne ohne es zu wissen, dass der Sinn des Lebens (falls es ihn gibt) auf der Tatsache beruht, dass sowohl Gutes als auch Schlechtes irgendwann zu Ende ist. Die Konsequenz aus dieser Überlegung müsste also sein, dass man jeden Tag lebt, als sei es der Letzte ohne irgendetwas zu bereuen. Das ist einfacher gesagt als getan und außerdem hört es sich derart flach und nach Kalenderspruch an, dass es fast schon körperlich weh tut. Aber vielleicht sollte man einfach einen Umkehrschluss ziehen: Wenn man Angst vor dem Tod hat, muss das doch heißen, dass man sein Leben trotz allem was manchmal dagegen spricht wenn schon nicht liebt, dann doch wenigstens sehr gern mag, und das ist an einem saukalten Mittwoch im Oktober mit Augenringen bis zum Kinn und einem Mittagessen, das den Namen nicht verdient auf keinen Fall zu verachten.

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